Deutsche Gesellschaft
für phänomenologische Forschung

Buch | Kapitel

208736

Schlußbemerkung

Serena Grazzini

pp. 209-212

Abstrakt

In ihrer Selbstdarstellung verstehen sich Formalismus und Strukturalismus als die wissenschaftliche Alternative zu einem Verständnis der Literatur und der verschiedensten Äußerungen des menschlichen Geistes, das den Grenzen des Subjektivismus und der Geschichtlichkeit der Interpretation verhaftet bleibt. Ihre Leistung sehen sie in der Enthüllung von vorliegenden Gesetzen und Strukturen, von denen diese Äußerungen erst kreiert und geprägt werden. Vom Begriff der Form und der Struktur ausgehend, läßt die strukturalistische Schule die in den sogenannten Humanwissenschaften, besonders aber in der Literaturwissenschaft herrschenden Untersuchungsperspektiven — vor allem den Blick auf die Historie, auf philosophisch-weltanschauliche Positionen, auf die Persönlichkeit und das soziale Umfeld des Autors, auf den ideellen und pragmatischen Nutzen des Textes — völlig in den Hintergrund der Analyse treten. Der Strukturalismus reklamiert die zentrale Stellung des Textes und die Wichtigkeit einer auf ihn sich konzentrierenden Interpretation, wobei er aber eine Vorstellung von Text verfolgt, die wenig mit dem jeweiligen tatsächlichen, d.h. greifbaren untersuchten Werk zu tun hat. Spricht er von Text, dann ist dieser Begriff alles andere als konkret zu verstehen, sondern auf eine ideelle Ebene zu verlagern: Der Text wird als die Gesamtheit von bestimmten, und infolgedessen auch genau bestimmbaren, Gesetzmäßigkeiten verstanden, denen eine innere Notwendigkeit zugrunde liegt. Aufgabe und Ziel der Interpretation wird es also, diese notwendige Ordnung zur Darstellung zu bringen; nur so erfüllt sie die Aufgabe, zu einer Wissenschaft nach dem Muster der exakten und mathematischen zu werden.

Publication details

Published in:

Grazzini Serena (1999) Der strukturalistische zirkel: Theorien über Mythos und Märchen bei Propp, Lévi-Strauss, Meletinskij. Wiesbaden, Deutscher Universitätsverlag.

Seiten: 209-212

DOI: 10.1007/978-3-663-08360-3_5

Referenz:

Grazzini Serena (1999) Schlußbemerkung, In: Der strukturalistische zirkel, Wiesbaden, Deutscher Universitätsverlag, 209–212.