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Näherung an den Dialog Zwischen Gängigem und Abwegigem
pp. 44-51
Abstrakt
Rümke, der kürzlich verstorbene holländische Kliniker, der Phänomenologisches und Nosologisches trefflich zusammenschauen konnte, formulierte einmal, es gebe keine psychopathologische Erscheinung, die nicht auch im "normal" genannten Erleben auftauchen könne. Er meinte damit nicht so sehr die Massivität und Intensität als die Temporalität des "Pathologischen", sein Beharren. Nichtverrücktheit als "Norm" ist nicht durch dieAbwesenheit von Wahn, Trug, Zwang, Vernageltheit oder Begriffsstutzigkeit charakterisiert, eher schon dadurch, daß sie dies alles in einer balancierten Verdünnung enthält und vor allem durch die Disponibilität des "Pathologischen", durch die Möglichkeit, sich seiner zu entledigen und es abzuwerfen wie einen Alptraum. Kehrt man dies um, so erweist sich die Verrücktheit als eine radikalisierte, verwilderte und entmischte Weise dessen, was auch die "Norm" ausmacht, allerdings aus ihrer Verfügung geglitten, als die raumzeitliche Struktur des normalen Erlebnisfeldes und seine historische Staffelung im persönlichen Entwurf dieses oder jenes Menschen aus den Fugen geriet. (Welche leiblichen, seelischen oder mitmenschlichen Ur-Sachen das hat, kann hier außer acht bleiben, obwohl es für die klinische Diagnostik und eine programmierte Therapie natürlich von größtem Interesse ist.)
Publication details
Published in:
Kisker K. P. (1970) Dialogik der Verrücktheit ein Versuch an den Grenzen der Anthropologie. Dordrecht, Springer.
Seiten: 44-51
DOI: 10.1007/978-94-010-3248-3_9
Referenz:
Kisker K. P. (1970) Näherung an den Dialog Zwischen Gängigem und Abwegigem, In: Dialogik der Verrücktheit ein Versuch an den Grenzen der Anthropologie, Dordrecht, Springer, 44–51.