In einer Zeit, die von globalen ökologischen Krisen, gesellschaftlichen Umbrüchen und
technologischen Entwicklungen geprägt ist, gewinnt die Frage nach dem Menschen und seiner
Einbettung in die Welt neue Brisanz. Die heutige Ära wird nicht ohne Grund als Anthropozän
bezeichnet, da der Mensch tiefgreifenden Einfluss auf seine Lebenswelt ausübt. Die
Anthropologie kann hier Orientierung bieten, um die Herausforderungen und Spannungen
unserer Gegenwart besser zu verstehen. Indes wirkt die klassische philosophische Frage nach
dem Menschen in unserer metaphysikkritischen Zeit oft überholt. Gleichzeitig erleben
anthropologische Fragen in den Natur- wie Geisteswissenschaften eine Renaissance. Doch wie
können die spezialisierten Erkenntnisse der unterschiedlichen Disziplinen in ein umfassendes
Bild des Menschen integriert werden? Hier eröffnet sich ein Spannungsfeld zwischen
Wissenschaft und Philosophie: Wie lässt sich die Frage nach dem Menschen heute auf
zeitgemäße Weise philosophisch stellen? Ist die philosophische Anthropologie weiterhin an die
Idee eines überzeitlichen, unveränderlichen Wesens des Menschen gebunden? Oder muss sie
neue Wege einschlagen, jenseits traditioneller Konzepte von Vernunft und Geist – Wege, die
die leibliche, soziale und kulturelle Weltverflochtenheit menschlicher Existenz anerkennen?
Welche Konsequenzen ergeben sich für die Philosophie und Wissenschaft, wenn die Frage nach
einem etwaigen Wesen des Menschen stets offenbleiben muss? Was bedeutet dies zum Beispiel
in ethischer Perspektive für die Solidarität – mit anderen Menschen, Lebewesen oder der Natur?
Max Scheler und Helmuth Plessner gehören zu den zentralen Denkern einer Phänomenologischen
Anthropologie. Ihre Werke liefern entscheidende Impulse für aktuelle anthropologische
Fragestellungen und laden dazu ein, den Menschen als ganzheitliches Wesen über disziplinäre
Grenzen hinaus zu thematisieren. Schelers Philosophie betont die Rolle von Gefühlen als
grundlegend für den menschlichen Zugang zur Welt, das menschliche Verhältnis zur Natur und
zum solidarischen Zusammenhalt in der Mitwelt. Emotionale Phänomene sind für ihn (intersubjektive)
Erfahrungen, in denen uns präreflexiv Werte gegeben sind. Neben beeindruckenden
Beschreibungen einzelner Phänomene wie Ressentiment, Scham und Reue entwickelte Scheler
eine vom emotionalen Leben ausgehende Ethik und Sozialphilosophie, und begründete die
Wissenssoziologie. Plessner untersucht den Menschen in seinem Verhältnis zum eigenen Körper
und betont dessen doppelte Verfassung zugleich in die Welt eingebettet und dieser gegenüber
distanziert zu sein. Sein Denken verbindet eine Philosophie des organischen Lebens mit
Überlegungen zu Geschichte, Soziokultur, Lachen, Weinen und Schauspiel. Beide Autoren betonen
die Wichtigkeit des menschlichen Ausdrucks, die Auseinandersetzung mit den positiven
Wissenschaften, insbesondere der Biologie sowie die Radikalität der Frage nach den Formen
der Vergesellschaftung und ihren Ermöglichungsbedingungen. Ihre Ansätze eröffnen vielfältige
Perspektiven an der Schnittstelle von Philosophie, Lebens- sowie Sozial- und Kulturwissenschaften,
die neue Wege für ein interdisziplinäres Verständnis des Menschen aufzeigen.
Im Workshop wollen wir die Bedeutung der bis heute vielfach noch unterschätzten Phänomenologischen
Anthropologien Max Schelers und Helmuth Plessners diskutieren sowie Anschlussmöglichkeiten
ihres Denkens an aktuelle Forschungsfelder evaluieren. Hierzu laden wir Nachwuchswissenschaftler*
innen und fortgeschrittene Studierende ohne große Vorkenntnisse ein,
sich mit Teilen der Werke Schelers und Plessners auseinanderzusetzen und im Kontext gegenwärtiger
Problemstellungen zu reflektieren.
Wann und Wo?
Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder), 29.07. bis 1.08.2025
Wie ist das Format?
Der Workshop wird größtenteils aus kleinen Gesprächskreisen bestehen, in denen einschlägige
Texte der beiden Autoren in lockerer Atmosphäre diskutiert werden. Inwiefern können Schelers
und Plessners Überlegungen heute dazu beitragen gesellschaftliche, politische und auch
ökologische Probleme zu thematisieren und etwaige Setzungen innerhalb der Disziplinen in
Frage zu stellen? Inwiefern können sie aber auch dazu beitragen, konkrete Phänomene unseres
alltäglichen Lebens wie Scham, Trauer, Lächerlichkeit oder Authentizität zu thematisieren?
Ergänzt wird die Arbeit der Lektüregruppen durch Vorträge ausgewiesener Scheler und
Plessner-Expert*innen (u.a. Prof. Dr. Gesa Lindemann, Prof. Dr.Patrick Lang und Prof. Dr.
Ralf Becker). Diese Vorträge münden jeweils in ein Roundtable-Gespräch, das den Raum für
interdisziplinären Austausch und weiterführende Fragen eröffnet. Nach Absprache können im
Rahmen des Workshops auch eigene Projekte vorgestellt und diskutiert werden.
Die Veranstaltung richtet sich an Personen aus dem wissenschaftlichen Nachwuchs und
fortgeschrittene Studierende unterschiedlichster Fachrichtungen (bspw. Philosophie,
Soziologie, Geschichts- und Kulturwissenschaft, Psychologie, Theater- und
Medienwissenschaften, Theologie, Medizin, Biologie, Kognitionswissenschaft usw.), die
Interesse am Thema haben und vielleicht sogar Anregungen für (eigene) Forschungsvorhaben
aufnehmen oder weitergeben möchten.
Teilnahme und Kosten
Die Teilnahme am Workshop ist kostenlos und wird durch die Max Scheler Gesellschaft und
die Helmuth-Plessner-Gesellschaft gefördert. Den Teilnehmer*innen wird eine
Übernachtungsmöglichkeit zur Verfügung gestellt (Dom Studencki UAM w Słubicach,
Einzelzimmer oder Zweibettzimmer). Eine barrierefreie Unterbringung ist möglich. Wir bitten
um rechtzeitige Mitteilung, sollte Bedarf bestehen. Die Fahrtkosten werden übernommen bzw.
bis zu einem Höchstbetrag von 120 Euro bezuschusst. Die Workshop-Plätze sind begrenzt,
daher bitten wir um Bewerbung mit kurzem Lebenslauf und Motivationsschreiben (max. 1
Seite) per E-Mail. Bewerbungsschluss ist der 31.03.2025. Ansprechpartner für Bewerbungen
sind Dr. Katrin Felgenhauer (katrin.felgenhauer@web.de) sowie Konstantin Hokamp
(hokamp@europa-uni.de). Wenn der Wunsch besteht, ein eigenes Projekt vorzustellen, bitten
wir darum, dies im Vorfeld zu kommunizieren.
Hinweis
Die Vorträge sind öffentlich und können daher auch von Gästen besucht werden. In diesem Fall
wird um eine kurze Anmeldung per Mail gebeten: katrin.felgenhauer@web.de oder
hokamp@europa-uni.de