Buch | Kapitel
Sprachwandel und Gesellschaftswandel
Zur historischen Semantik von Epochenbegriffen
pp. 327-341
Abstrakt
In den Geistes- und Sozialwissenschaften ist die Auffassung weit verbreitet, daß die zentralen Begriffe, mit denen die Mitglieder einer Gesellschaft ihre eigene Epoche deuten beziehungsweise sich ihrer eigenen geschichtlichen Identität zeitdiagnostisch zu versichern versuchen, ein geistiges Korrelat der jeweils gegebenen Sozialstruktur dieser Gesellschaft darstellen. Ob diese Korrelationsbeziehung zwischen der Ideenevolution und dem Wandel der Sozialstruktur dabei kausaltheoretisch, funktionalistisch oder als dialektischer Vermittlungszusammenhang zwischen dem Allgemeinen und dem Besonderen gedacht wird, ist dabei weniger ausschlaggebend als die in diesem Zusammenhang oftmals anzutreffende Überzeugung, daß der soziale Wandel etwas Primäres, seine geistige Verarbeitung dagegen etwas Sekundäres und meist nachträglich Hinzukommendes sei. Oft wird dabei unterstellt, daß semantische Innovationen grundsätzlich nicht in der Lage seien, entsprechende epochale Veränderungen einzuleiten, sondern sie allenfalls beschließen beziehungsweise nachträglich auf den Begriff zu bringen vermögen. Entsprechend wird auch der Bedeutungswandel von zentralen Begriffen unserer historisch-politischen Semantik nicht als beliebige Variation des Ideengutes einer Epoche verstanden, sondern in Abhängigkeit von dem sozialen Wandel gesehen und zum Gegenstand entsprechender wissenssoziologischer und ideologiekritischer Untersuchungen gemacht. Strittig ist in diesem Zusammenhang dann allenfalls noch die Frage, ob der Bedeutungswandel von zentralen Begriffen unserer historisch-politischen Semantik in kausaler Abhängigkeit zu sozialstrukturellen Veränderungen steht oder ob er diesen gegenüber in einem gewissen Sinne auch eine steuernde beziehungsweise regulierende Funktion zu übernehmen in der Lage ist.
Publication details
Published in:
Lichtblau Klaus (2011) Die Eigenart der kultur- und sozialwissenschaftlichen Begriffsbildung. Wiesbaden, Verlag für Sozialwissenschaften.
Seiten: 327-341
DOI: 10.1007/978-3-531-93235-4_19
Referenz:
Lichtblau Klaus (2011) Sprachwandel und Gesellschaftswandel: Zur historischen Semantik von Epochenbegriffen, In: Die Eigenart der kultur- und sozialwissenschaftlichen Begriffsbildung, Wiesbaden, Verlag für Sozialwissenschaften, 327–341.