Deutsche Gesellschaft
für phänomenologische Forschung

Buch | Kapitel

204960

Deconstructing Tony

Strukturation und Dekonstruktion

Günther Ortmann

pp. 96-111

Abstrakt

Giddens hat sich zwei Mal etwas ausführlicher zu Poststrukturalismus, Derrida und Différance geäußert: 1979 in dem Band über "Central Problems in Social Theory" und 1987 in einem Beitrag zu einem von ihm selbst und J. H. Turner herausgegebenen Sammelband über "Social Theory Today". Im ersteren dieser beiden Beiträge gilt sogar sein besonderes Augenmerk ersichtlich Jacques Derrida. Dass letzterer dabei beide Male ohne viel Federlesens in den Kontext von Sozialtheorie eingerückt wird, wird sich im Laufe meiner Analyse als zweischneidige Angelegenheit herausstellen: Vielversprechend, und ein weiterer Beleg für Giddens' beträchtliche Fähigkeit zur Wahrnehmung, Abarbeitung und Einverleibung einer erstaunlichen Fülle zunächst disparat erscheinender theoretischer und philosophischer Denkrichtungen, erscheint mir einerseits die Idee, Différence und Dekonstruktion für sozialwissenschaftliche Fragen fruchtbar zu machen. Das möchte ich im 1. Abschnitt, unter Rekurs auf die erste der beiden genannten Arbeiten, im einzelnen begründen. Im 2. Abschnitt rekonstruiere ich die bedeutende Rolle der Denkfigur der Différence in Giddens' opus magnum, "The Constitution of Society" (1984). Andererseits verführt Giddens' Art der Derrida-Lektüre, seine — zunächst durchaus legitime — Rezeption unter dem Blickwinkel der Inkorporation ins eigene Denkgebäude, den Rezipienten dazu, eine Kritik zu formulieren, die Derridas Werk umstandslos an der Elle ihres Beitrages zu genuin sozialtheoretischen Fragestellungen misst. Das wird in dem Beitrag aus dem Jahre 1987 besonders deutlich — und besonders problematisch. Darauf gehe ich im 3. Abschnitt näher ein. Insgesamt ergibt sich ein zwiespältiger Eindruck vom Umgang Giddens' mit Derrida: 1979 postuliert er eine Sozialtheorie, näherhin: eine Strukturationstheorie, die auf einer "threefold connotation of différence" basiert sein solle (Giddens 1979, 45 f), 1984 führt er diese Absicht durch, ohne indes dabei Derrida noch zu erwähnen, und 1987 stellt er Derrida eine Todesurkunde aus, die nicht an Deutlichkeit, wohl aber an guten Gründen — im Sinne theoretischer Argumente, aber auch des Respekts, den wir jenen zollen könnten, auf deren Schultern wir stehen — zu wünschen übrig lässt.

Publication details

Published in:

(2008) Organisation und Welterschließung: Dekonstruktionen. Wiesbaden, Verlag für Sozialwissenschaften.

Seiten: 96-111

DOI: 10.1007/978-3-531-90921-9_6

Referenz:

Ortmann Günther (2008) Deconstructing Tony: Strukturation und Dekonstruktion, In: Organisation und Welterschließung, Wiesbaden, Verlag für Sozialwissenschaften, 96–111.